Fusselhaare – oder „Wie ich lernte, loszulassen“

 

Mittlerweile habe ich ungefähr jede Methode durch: unterschiedliche Stärken der Häkelnadeln habe ich probiert, das Aufflauschen der Fusseln und danach erst einhäkeln, das Knödeln, Zwirbeln, Wutschen und Wedeln, ja sogar festbinden habe ich probiert. Nichts hat bisher geholfen, meine Fusselhaare stehen ab, wie bei einem explodierten Hühnchen.

Zu Beginn des Jahres habe ich mir also die Haare gewaschen, nach dem Trocknen meine Häkelnadel rausgeholt und…sie dann doch wieder hingelegt. Basta. Dieses Jahr endet das. Ich lasse los. Wenn das nur nicht immer so schwer wäre –  aber ist es das wirklich?

Deine persönlichen Fusselhaare

Natürlich geht es jetzt nicht nur um Fusselhaare bei Dreadlocks. Stattdessen stehen die Fusselhaare für alles, was wir wirklich vergeblich versuchen loszuwerden oder zu verändern und dennoch nicht weiter kommen. Es ist ein Verhalten, das, so glaube ich, uns allen allzu gut bekannt ist. Wir halten an Dingen fest, an Glaubenssätzen, an Emotionen, Gefühlen, Menschen, Beziehungen, Klamotten, CD-Sammlungen, Fotos… Ich meinem letzten Artikel (HIER lang), ging es um Minimalismus als den besten Vorsatz für das Jahr 2019. Das Aussortieren und Treffen von Entscheidungen, um dann loszulassen. Aber in der Praxis ist es dann doch etwas komplizierter. Der Ratschlag „Lass einfach los“ wird so flapsig dahingesagt, aber wenn wir etwas schon seit einiger Zeit tun oder haben, kostet es uns Überwindung auch nur darüber nachzudenken, es loszulassen. Der erste Impuls ist „Ich kann nicht!“ – aber du kannst. Denn du musst dir nur ein paar Dinge klar machen.

Glaubenssätze ändern

Das klingt jetzt ein wenig nach „Self Love“- Getue, und ist es vielleicht sogar ein bisschen, aber wenn du dich drauf einlässt, wirst du sehen, was ich meine: du bist grad in einer Situation, die geprägt ist von Glaubenssätzen. Der Begriff „Glaubenssätze“ stammt aus dem „Neuro-Linguistischen Programmieren“ (kurz NLP), das sich unter anderem damit beschäftigt, wie sich Sprache auf unser Verhalten auswirkt. Dabei ist nicht nur das gesprochene Wort gemeint, sondern auch „self-talk“, also das, was wir uns unterbewusst erzählen. Mit Glaubenssätzen bezeichnet man Annahmen, die man wieder und wieder gedacht werden. Man hält sie für wahr und richtet entsprechend sein Handeln danach aus.

Ob diese Glaubenssätze nun wahr sind oder nicht, sei mal dahingestellt, aber hier mal ein paar Beispiele, die uns daran hindern, loszulassen:

Bei materiellen Dingen:

  1. Wenn ich mal irgendwann das Zimmer streiche, brauche ich ein altes T-Shirt.
  2. Ich habe es von Tante Trude geschenkt bekommen und Geschenke darf man nicht weggeben.
  3. Das war teuer, das muss ich behalten.
  4. Wenn ich mal zunehme, brauche ich diese Hose.
  5. Diese Schuhe habe ich schon 20 Jahre…

Es geht also um ganz viele „wenn“ und „damals“ Dinge.

Bei emotionalen Dingen, die wir nicht loslassen können, sieht es ähnlich, aber meistens schmerzhafter aus:

  1. Wenn ich mir nur etwas mehr Mühe gebe, wird bestimmt alles gut
  2. Wenn ich ich ändern kann, wird das schon.
  3. Ich habe so viel investiert, ich darf jetzt nicht aufgeben.
  4. Was, wenn ich es bereue?
  5. Was bleibt mir, wenn ich es loslasse?
  6. Wer bin ich, wenn ich es loslasse?

Ganz ehrlich, wenn ich solche Glaubenssätze lese, bekomme ich ein bisschen das Zittern. Ich bin furchtbar schlecht im Loslassen. Ich dachte beispielsweise „Wenn ich nur noch einmal die Fusselhaare häkle, dann halten sie!“. Und natürlich habe ich schon oft im Leben gedacht: „Wenn ich noch ein bisschen durchhalte…“ oder „Wenn ich ein bisschen so oder so wäre…“. Nope, Honey. Das ist das Gegenteil von loslassen. Und viel schlimmer noch: ich habe furchtbar viel Energie investiert, um auf einem toten Pferd zu reiten. (Keine Sorge, ich lebe vegan, das dient nur der Veranschaulichung)

Auf einem toten Pferd kann man nicht reiten

Ich habe das Beispiel bei einem anderen Blog gelesen und fand es sehr treffend: ganz egal, wie viel du investiert hast oder wie teuer dir das Pferd war, wie lange du es kanntest und wie sehr du dich als Reiter*In definiert hast, wenn das Pferd tot ist, kannst du nicht mehr auf ihm reiten. Das ist furchtbar, aber man muss das Pferd loslassen, um weiter nach vorn zu kommen. Wichtig ist, dass man sich Zeit gibt, um zu trauern.

Ähnlich ist es bei Gedanken: nachdem ich wochenlang auf Gedanken rumgekaut und doch keine Lösung gefunden habe, frage ich mich, ob es überhaupt eine gibt. Oder ob es bei meinen Gedanken überhaupt jemals darum ging, eine Lösung zu finden. 

Ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert: ich knirsche und presse mit den Zähnen, so dass ich eine Schiene tragen muss. Selbst nachts kaue ich also auf den Gedanken herum. Und alles, was ich davon habe, sind Kopfschmerzen und doch sehr unangenehme Zahnarzttermine. Warum also nicht loslassen lernen?

Loslassen in drei Schritten

Etwas loszulassen bedeutet für mich großen Stress. Was kommt zum Vorschein, wenn der Gedanke nicht mehr da ist? Was, wenn ich tatsächlich etwas verändere? Was, wenn….???

Und trotzdem: das Festhalten kostet unfassbar viel Kraft. Um zurück zu meinem Fusselhaar-Beispiel zu kommen: ich habe mir echt die Finger blutig gehäkelt. Ich war frustriert. Es ging sogar so weit, dass ich dachte, ich würde strange aussehen, gar unschön! (Keine Sorge, ich fühle mich wieder sexy and free). Und warum? Weil ich nicht loslassen wollte.

Also habe ich gegoogelt und möchte dir eine Methode vorstellen, wie du Gedanken und Gefühle loslassen kannst. Beantworte die Fragen intuitiv und kümmere dich nicht um die Antwort. Die Antwort ist egal, es geht um etwas anderes. Hier die einzelnen Schritte:

  1. Fühle dich noch einmal hinein. Rufe dir die Gedanken und Glaubenssätze vor dein inneres Auge und schau sie dir an. Frage dich dann: kann ich das Gefühl, den Gedanken annehmen? 
  2. Spüre, was mit dem Gedanken oder dem Gefühl alles auftaucht. Der Wunsch, es wegzudrücken, zu überspielen, zu blockieren, zu verdrängen? Lass das alles aufkommen und frage dich dann: kann ich das loslassen?
  3. Frage dich jetzt: kann ich das alles loslassen? Wenn die Antwort „ja“ ist, dann go for it. Wenn „nein“, frage dich: wann kann ich es loslassen? Wenn du keine klare Antwort bekommst, dann fang wieder beim ersten Schritt an.

Es geht darum, sich mit dem Gefühl des Loslassen vertraut zu machen. Sich zu öffnen. Es ist nunmal so, dass das, wogegen wir uns am meisten wehren, an uns haftet und uns verfolgt. Versuche mal einen Moment, nicht an einen rosa Elefanten zu denken. Denkst du grad, oder?

Sobald wir uns öffnen, werden wir durchlässiger und können negative Glaubenssätze loslassen und vielleicht im nächsten Schritt durch positive ersetzen.

Mach Platz für Freiheit

Ganz gleich, ob du deinen Kleiderschrank, deinen Mind oder deine Gefühlswelt aufräumst: durch das Loslassen lässt der Schmerz nach und du bekommst mehr Freiheit. Ich merke immer richtig, wie mir die Luft wegbleibt, mein Brustkorb eng wird und sich mein Kiefer anspannt, wenn ich nicht loslassen kann. Aber nimm doch mal eine Nuss oder ähnliches in die Hand und drücke zu. So lange, bis es unangenehm wird. Und dann…lass los. Schon ein bisschen gut, wenn der Schmerz nachlässt, oder? 

Wenn du dich von Klamotten trennst, die dir zwar wichtig waren, aber doch im Weg, ist dein Gepäck leichter, wenn du verreist oder umziehst, du hast Platz für Neues oder kannst einfach besser überblicken, was sich so in deinem Schrank befindet.

Um es mit Disneys Worten zu sagen:

Let it go, let it got

Can’t hold it back anymore

Let it go, let it go

Let it go, let it go

Turn away and slam the door

I don’t care what they’re going to say

Let the storm rage on

The cold never bothered me anyway

Ach ja, und solltest du jetzt immer noch drüber nachdenken, ob loslassen oder festhalten besser ist: kennst du das Gefühl, wenn du endlich pupsen kannst? M-hm. Here you are. 

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