Die Außenwirkung von Dreads – über Privilegien

„Der erste Eindruck zählt“ hat schon jeder gehört. Ganz gleich, ob es dabei um das erste Date, ein Bewerbungsgespräch oder einfach das Kennenlernen von anderen Menschen im Alltag geht. In Windeseile kategorisieren wir und glauben, unseren Gegenüber einordnen zu können – und bilden uns meistens ein Urteil. So ergeht es einem natürlich auch, wenn man Dreads hat. Aber was ist eigentlich die Außenwirkung von Dreads?

Die Sache mit den Klischees

Wenn früher ein Fremder das Gasthaus betreten hatte, verbreitete sich diese Neuigkeit rasend schnell im ganzen Dorf und innerhalb weniger Minuten konnte sich der Wirt über jede Menge Gäste freuen. Unbekannte, besonders außergewöhnliche Gesichter, sorgen für Aufruhr. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und reagiert sensorisch auf neues. Unser Gehirn ist direkt in Alarmbereitschaft: Freund? Oder Feind?

Dreadlocks sind bereits viel häufiger anzutreffen, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Und dennoch begegnen einem die gleichen Klischees, die man schon damals gehört hat:

„Dreadheads sind Kiffer“ ist wohl das bekannteste Klischee. Ich habe nun keine Studie zur Hand, aber die wenigstens Menschen mit Dreads, die ich kenne, erfreuen sich am Canabis-Genuss. Und selbst wenn – das Klischee, das damit einhergeht, nämlich „sein Leben nicht im Griff zu haben“, trifft auf keinen dieser Menschen zu. Aber das ist keine offizielle Studie, sondern meine gefühlte Wahrheit ;).

„Dreadheads sind unsauber“ ist das nächste Klischee. Die Frage „Wäschst du deine Dreads?!“, kennt vermutlich jede*r, die/der Dreads trägt. Nach kurzer Zeit schmunzelt man darüber und kann ganze Fachvorträge über das Waschen von Dreads halten! Denn: Dreadlocks muss man regelmäßig waschen. Was „regelmäßig“ bedeutet, hängt von der eigenen Kopfhaut ab. Tatsache ist: Filz braucht eine fettfreie Umgebung und daher muss ein jede*r die Dreads waschen, wenn sie filzen sollen.

Aber es gibt natürlich auch, ich möchte sie mal, „positive Klischees“ nennen. „Menschen mit Dreads sind der Natur nahe“ höre ich öfter. Das mag daran liegen, dass das Dreaden ein natürlich Prozess von Haaren ist, wenn man sie nicht kämmt. Sie verknoten und verfilzen. Viele Menschen tragen Dreads als Ausdruck der eigenen Naturverbundenheit oder, wenn nicht als aktiver Ausdruck, weil es dem eigenen Körperbild mehr entspricht. Dreadlocks werden häufig mit einer gewissen „Wildheit“ verbunden – an dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, das Thema „Rassismus“ anzusprechen. Weiße Menschen mit Dreads werden mit einer natürlichen Wildheit in Verbindung gebracht und das wird positiv aufgenommen. People of Color erfahren mit dieser Verbindung einen Rassismus, da „wild“ in diesem Zusammenhang als „primitiv“ angesehen wird. Klischees, die für Weiße als toll gelten, sind rassistisches Gedankengut, wenn es um People of Color geht. Es ist immer einfach zu sagen „Ja, aber die weißen bekommen auch oft keine Wohnung, weil sie Dreads haben“ – ja, das stimmt, das kenne ich auch. Aber ich kann mich dazu entscheiden, anders auszusehen und damit die Diskrimierung zu vermindern. Das mag nicht toll sein. Im Gegenteil. Aber People of Color können das nicht. Und der Rassismus in Deutschland wird lauter. Deswegen ist es so wichtig, nicht die beleidigte Leberwurst zu spielen, sondern zuzuhören und aufmerksam zu sein. Weiß sein bedeutet, ein Privileg zu haben. Männlich und weiß gleich doppelt privilegiert zu sein. Und jedes Mal, wenn man als weißer Mensch sagt, dass Klischees für alle gelten, negiert man die alltägliche Rassismuserfahrung, die andere Menschen machen.

Die ersten Sekunden zählen

Warum aber ist das so? Nun, letztlich funktioniert unser Gehirn noch sehr simpel. Wir nehmen durch unsere Sinne unsere Umgebung wahr, speichern gewisse Informationen und rufen sie ab, wenn sie benötigt werden. Wenn wir Menschen sehen, die anders aussehen, kann unser Gehirn nicht die gewünschten Infos herauskramen und stellt um auf „Alarm“. Der mittelgebildete Mensch von heute weiß das und geht offen auf diese*n Fremden zu. Um diese Person kennenzulernen. Damit erweitern wir nicht nur unseren sprichwörtlichen Horizont, sondern auch unseren Info-Pool. Wir verweigern die Reaktion der Amygdala, das ist der Teil des Gehirns, der für das Furchtverhalten zuständig ist und den Körper auf „Flucht oder Kampf“ stellt, und reagieren aus unserem Bewusstsein heraus.

Rein psychologisch sind es eben die ersten Sekunden, in denen wir einen Menschen kategorisieren. Wir nehmen wahr, wie der Mensch aussieht – dann, wie er sich bewegt, die Mimik, Gestik. Dann den Geruch und ganz am Schluss erst, was der Mensch sagt.

Es dauert also einen Moment, bis wir einen Menschen wirklich einschätzen können. Unser Äußeres wird immer die erste Info sein, die unser Gegenüber benutzt, um uns einzuordnen.

Das bedeutet also zum einen: wenn du Dreadlocks hast, könntest du damit konfrontiert werden, dass Menschen Vorurteile dir gegenüber haben. Das bedeutet zum anderen: wenn du ein*e Rassist*in bist, bist du in deiner Amygdala hängen geblieben und vermutlich nicht einmal fähig, dieses Wort zu lesen. Das ist schade. Ich empfehle dir dringend Bildung. Solltest du gebildet und dennoch ein*e Rassist*in sein, fallen meiner Amygdala viele unschöne Worte ein, die ich dir gern sagen würde…

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